Mexico - Arrachera und Akkus



Zugegeben, die Überschrift ist etwas seltsam. Sie bietet auf Anhieb keine Assoziationen mit dem an, was man gemeinhin in einem Reisebericht über Mexiko zu finden hofft. Wir werden uns gemeinsam der Sache behutsam nähern müssen. Und am Ende werden wir hoffentlich einer Meinung sein, dass die Geschichten erzählenswert gewesen sind.

1998 und 2002 waren wir in Mexiko. Die erste Reise führte uns in die Gegend von Puerto Vallarta am Pazifischen Ozean, in einen Ort, der vor allem Filmgeschichte geschrieben hat. Ohne Richard Burton und Liz Taylor, die hier einen Film drehten - die Nacht des Leguans - und der Öffentlichkeit ihr heißes Liebesleben präsentierten und amerikanische Journalisten und in deren Tross wiederum eine Touristenschar anlockten, hätte sich die Stadt nicht zu einer Touristenmetropole entfaltet. Außer einer sehenswerten Kathedrale, einer riesigen Bucht mit vielen Stränden ist in dieser amerikanisierten Stadt wenig Atemberaubendes zu sehen. Die Reise 2002 hatte Acapulco zum Ziel. Ein Spiegelbild von Puerto Vallarta? Durchaus. Denn ohne den amerikanischen Film, Teddy Staufer und Johnny Weismüller mit seiner Hollywood-Connection, hätte sich Acapulco nicht so entwickelt, wie es heute ist. Auch hier gibt es eine imposante Bucht am Stillen Ozean mit zahlreichen Stränden. Nur ist in Acapulco alles viel außerordentlicher, dominierender und wolkenkratziger als in Puerto Vallarta. Es ist eine Megastadt mit Glanz und Flitter, die im Vergleich die meisten europäischen Metropolen wie finstere Vororte weit hinter sich lässt.
Eines haben Puerto Vallarta und Acapulco noch gemeinsam, von Mitte Januar bis Anfang Mai wartet man dort auf Regen vergebens.Von Acapulco aus traten wir eine Rundreise an, die uns auch nach Teotihuacan und Mexico City brachte. Während Teotihuacan zu Beginn unserer Zeitrechnung mit seinen 150.000 Einwohnern sicher die größte Stadt der Welt war, führt dieses Prädikat heute Mexico City. Weit über 30 Millionen Menschen sollen hier leben.

Und hier haben wir das größte und beste Steak unseres Lebens gegessen.

Nach einem fürchterlich langen Reisetag mit überwältigenden Eindrücken und strapaziösen Fußmärschen bei brüllender Hitze, fielen wir abends in der Zona Rosa erschöpft, durstig und hungrig in das erstbeste Restaurant ein. Es war ein argentinisches Steakhaus, der Buenos Aires Grill, in dem man in einem verglasten, hübschen Vorbau unmittelbar und klimatisiert an einer Promenade sitzen konnte.

Vierhundert Gramm Arrachera. Wie, bitte?

Je ein Arrachera-Steak, über 400 Gramm schwer, mit exotischen Salaten und kühlem Weißwein aus Chile und Bier aus Mexico aus geeisten Gläsern bestellten wir uns. Ja, Arrachera kannten wir in diesem Moment auch nicht. Dieses Gericht hatten wir nur bestellt, weil es sich so gut in der Karte las und so fremdartig klang. Wir haben diese Wahl nicht bereut.

Bis dahin hatte ich eine Steak-Rangfolge für mich konstruiert, an der sich alles, was sich "Steak" nennt, eingliedern und bewerten lassen muss. Die Rangfolge war seit über 35 Jahren unverändert so, dass das Steak, das ich 1965 in Boston (Massachusetts) im "Black Angus" gegessen hatte, bis zu diesem denkwürdigen 18. April 2002 die unangefochtene Spitze darstellte; es war vom Geschmack und der Zubereitung perfekt. Dann gab es noch einen zweiten Platz, mehr der Show als des Genusses wegen, ein flambiertes Pfeffersteak von 1963, gegessen in der Nachbarschaft der Champs-Elysees in Paris. Dicht paniert mit zerstoßenen schwarzen Pfefferkörnern wurde es aufgetafelt und dann an meinem Tisch mit Cognac übergossen und angezündet, wobei eine erstaunliche Stichflamme entfacht wurde. Vermutlich entstand so im Jahre 586 der große Brand, der das damalige Paris vernichtete und in Schutt und Asche legte. Wer weiß, vielleicht sind die Franzosen ihrer Hauptstadt heute wieder überdrüssig? Der dritte Platz ging an ein Steak, das auch wegen der Servierhöhe zu diesem Ehrenplatz gelangte. Während eines Fluges mit der Singapore-Airlines von Frankfurt nach Singapur wurde dieses Steak in elf Kilometer Höhe aufgetragen; es war wirklich ausgezeichnet. Alle anderen Steaks - es mögen bis heute viele hunderte gewesen sein - waren nur Fleischgerichte und verdienen keine besondere Erwähnung. Das gilt auch für meine eigenen Kreationen.

Und das Arrachera? Holen Sie jetzt mal Ihre Phantasie und Geschmacksknospen an den Bildschirm. Stellen Sie sich ein hölzernes Servierbrett von 30 mal 25 Zentimetern vor, rundherum umgeben von einer Saftrille, dazu ein Messer, das in freier Wildbahn getragen durchaus dazu dienen könnte, den Träger zu kriminalisieren. Das Steak? Vierzig Zentimeter lang (pardon, das ist so viel, wie Ihr 17-Zoll-Monitor breit ist), 10 Zentimeter breit und zweieinhalb Zentimeter dick. Und weil es in seiner Länge nicht auf das Servierbrett passte, war das eine Ende umgeschlagen.
Wer soll das alles essen? Müssen wir mit anderen Gästen teilen? Kommt noch jemand? Das waren unsere ersten Gedanken. Beschwichtigend redeten wir uns ein, dass ja immer etwas Verschnitt da sei und damit so viel an Essbarem gar nicht überbliebe.

Wir mussten nicht teilen, es gab auch keinen Verschnitt. Das Messer und sogar die Zähne hätte man sich sparen können. Das war reine und saftige Zartheit in Vollendung. Ein Saft entströmte dem Fleisch, der nicht eine Spur von Blut enthielt, der einfach nur eine klare Flüssigkeit war, der den Mund überlaufen ließ und uns vor Begeisterung fast betrunken machte.

So etwas hätte man für die Nachwelt fotografieren müssen! Aber, lieber Leser, wer knipst schon sein Essen in einem Restaurant, außer als Beleg für den Staatsanwalt? Übrigens hätten wir das gar nicht gekonnt, denn die Akkus waren erschöpft. Wie wir.

Und so ist der Übergang zu meiner zweiten Story gelungen. Wir befanden uns am 25.04.2002 in Acapulco im Flughafengebäude. Unser Gepäck war längst im Erdgeschoss abgegeben, gewogen, stichprobehalber durchsucht, dann geröntgt und auf einer Karre unterwegs zu unserem Flug MX 508 nach Mexico City. In der oberen Etage des Flughafengebäudes fand die Personen- und Handgepäckkontrolle statt, der wir uns nun zu stellen hatten. Nachdem die Fototasche über das Rollband in dem Heilmann-Automaten zur Durchleuchtung verschwunden war, wurde ich vom Personal angesprochen, ob wohl mehrere Akkus in der Tasche seien. Natürlich, bestätigte ich, denn wer kommt schon bei einer Digitalkamera mit nur einem Batteriesatz aus? Es sei, so sagte man mir höflich aber bestimmt, nicht zulässig, mehr als den Satz in der Kamera mit ins Flugzeug zu nehmen, den Mehrbestand müsse ich in meinem Koffer unterbringen. Und die waren auf dem Weg zum Flugzeug oder gar schon in ihm. Andererseits mochte ich die Akkus nicht in Acapulco lassen; denn es waren 12 Stück und hatten etwa 60 Euro gekostet. Aber das Flughafenpersonal war freundlich, geduldig und hilfsbereit. Ich solle nach unten zum Gepäckschalter zur Aufsicht gehen und dort fragen, ob man mir helfen könne. Senor Morales, Supervisor von der Mexicana, war mein Ansprechpartner. Nach Schilderung der Angelegenheit verlangte er von mir eine genaue Beschreibung der Koffer, die Akkus, den Kofferschlüssel und die Kombination für die Schlösser. Bevor er etwas gestresst wegging rief er mir noch zu, dass ich ihn später oben im Boardingbereich treffen würde; ich solle dort auf ihn warten.
Was befand sich schon großartig in den Koffern? Schmutzige Wäsche, fast die komplette Urlaubsgarderobe, etwas Silberschmuck aus Taxco, ein paar Souvenirs, etwas Obsidian aus Teotihuacan...
Und dann haben wir bis zuletzt auf Senor Morales gewartet, der nicht in den Boardingbereich gekommen ist. Und unsere Urlaubsbekannten wollten immerzu von mir bestätigt bekommen, dass ich diesem Mann Schlüssel und Kombination für unsere Koffer gegeben habe. "Du kennst doch diese Südländer.... die Menschen sind arm.... deine Naivität.... die Mentalität dieser Leute.... Mensch, Heinz...."
Später saßen wir im Flugzeug und warteten auf den Start. Da öffnete sich noch einmal eine Tür und Senor Morales erschien, suchte uns mit seinem Blick, fand uns und gab uns die Kofferschlüssel mit der Bemerkung zurück, dass alles in Ordnung sei. Ich hatte mir 50 Peso als kleine Belohnung zurechtgelegt. Mit einem knappen "No, Senor!" lehnte er ab und verschwand.
Zu Hause stellten wir dann fest, dass die Akkus sich nicht in dem grauen Koffer befanden. In dem grünen waren sie.

© Heinz Albers, November 2002

Den Originalbericht und die passenden Fotos gibt es bei www.Heinz-Albers.de

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Verfasser

Heinz Albers





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